Nr. 2/2017
Das online Kundenmagazin der Schwenk Putztechnik

ERST DIE DIGITALISIERUNG, DANN DER JOBVERLUST? |

Was passiert, wenn alles zur App wird? Ökonomen sehen für viele Berufe in den kommenden Jahrzehnten schwarz. Es gibt Prognosen, die jeden zweiten Job in Gefahr sehen – auch in Deutschland. Was machen Millionen Taxi- und Lkw-Fahrer rund um die Welt, wenn autonomes Fahren zum Standard wird? Und was wird aus Postboten, wenn die Auslieferung mithilfe autonomer Autos, Roboter oder Drohnen funktioniert?

VON STEPHAN DÖRNER

SIE SIND GEFEUERT! Roboter wie R2D2 aus der Star-Wars-Saga oder Siri im neuesten iPhone haben wir liebgewonnen. Doch wie wird das zukünftig sein?

Bislang galt: Wann immer in der Menschheitsgeschichte technischer Fortschritt Arbeit überflüssig gemacht hat, sind an anderer Stelle neue Arbeitsplätze entstanden – und am Ende war die Gesellschaft insgesamt wohlhabender. Doch zahlreiche Ökonomen und Zukunftsforscher, die sich intensiv mit den Folgen der Digitalisierung beschäftigen, glauben, dass es diesmal anders ausgeht. Von einer „Dematerialisierung“ des gesamten Produktionsprozesses spricht Karl-Heinz Land, Gründer und Chef der Beratungsagentur „Neuland“ und Co-Autor des Buchs „Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt in Zeiten des digitalen Darwinismus“. „Was geschieht, wenn alles zur App wird?“, fragt Land, der sich selbst als „ Digitalen Darwinisten und Evangelisten“ bezeichnet. Seine Prognose: Ein großer Teil der Wertschöpfungskette werde überflüssig.

APPS MACHEN VIELE KLASSISCHE TÄTIGKEITEN ÜBERFLÜSSIG

Langfristig werde fast alles zur Software, glaubt Land, und dematerialisiere sich damit. Als Beispiel nennt er einen Schlüssel, der zur App auf dem Smartphone wird. Damit entfalle zunächst die Produktion des Schlüssels. Falle die Produktion des Schlüssels weg, würden auch die Herstellung der Maschinen, die den Schlüssel produzieren, ebenso wie die Maschinen für die Ersatzteile der Maschinen der Schlüsselproduktion überflüssig. In letzter Konsequenz würde auch die Logistik für den Transport des Schlüssels überflüssig, glaubt Land – also Autos und Straßen.

Dass Software eine immer größere Rolle für alle Branchen der Wirtschaft spielt, ist unstrittig. Internet-Unternehmer und Wagniskapitalgeber Marc Andreesen hat dieses Phänomen einst mit den Worten „Software is eating the world.“ auf den Punkt gebracht und damit bis heute Recht behalten. Ob Automobilindustrie, Handel, Bankenwesen oder Maschinenbau – überall spielt Software eine immer entscheidendere Rolle für den Firmenerfolg. Doch ob damit auch eine vollständige „Dematerialisierung“ einhergeht, ist fraglich. Als in den 1970er-Jahren massenhaft Computer in die Büros einzogen, geisterte schnell die Vision vom papierlosen Büro durch die betriebswirtschaftliche Literatur. Bis jetzt ist das papierlose Büro bis auf einige Ausnahmen allerdings Vision geblieben, und weder Drucker- noch Papierhersteller sind verschwunden.

WENN DIE MASCHINE alles Wissen der Welt gespeichert hat, ist sie dann auch schlauer als vorher?

Es kann also gut sein, dass sich die „Dematerialisierung“ langsamer und weniger dramatisch vollzieht als es Land und andere glauben – und es ist auch möglich, dass das Internet und darauf aufbauende Technologien noch weitere Jobs hervorbringen, von denen heute niemand auch nur ahnt.

NEUE JOBS SIND OFT SCHLECHTER BEZAHLT

Doch die Riege der digitalen Schwarzmaler wird in jüngster Zeit eher größer. Robert Reich, Arbeitsminister unter Ex-US-Präsident Bill Clinton, gehört dazu und spricht von einer „Uberisierung“ des Arbeitsmarktes. Die Mobilitäts-App und Taxi-Konkurrenz Uber ist der Lieblingsfeind des linken US-Ökonomen. „GM ist rund 60 Milliarden Dollar wert und hat mehr als 200.000 Angestellte“, schrieb Reich in seinem Blog. Uber, das inzwischen fast genauso viel wert ist, hat nach eigenen Angaben derzeit weltweit nur rund 3.500 Angestellte. Die meisten der Fahrer dagegen würden unter prekären Umständen arbeiten, so Reich.

Auch der US-Wirtschaftshistoriker John Komlos ist der Ansicht, dass durch die Digitalisierung Jobs in einem Ausmaß überflüssig werden, die nicht in gleichem Umfang durch neue Berufsfelder ausgeglichen werden können. In einem Bericht mit dem Titel „Has Creative Destruction Become More Destructive?“ führt er seine These unter anderem an dem Beispiel Kodak aus. In der Spitze hatte die einstige Ikone der Fotoindustrie 145.000 Mitarbeiter. Die meisten davon bezogen ein Mittelklasse-Einkommen. Nach der Revolution der Digitalfotografie blieben noch 8.000 Beschäftigte übrig. Apple, die Ikone im Zeitalter der Digitalwirtschaft und heute das wertvollste Unternehmen der Welt, hatte zum Zeitpunkt des Berichts im Verhältnis nur 47.000 Angestellte – zwei Drittel davon waren in Apple-Stores im Niedriglohnsektor beschäftigt.

Und das Beispiel Apple ist typisch: Neue Berufsbilder, die mit der Digitalisierung aufgekommen sind, entstanden überwiegend an den beiden Extremen der Einkommensskala: Relativ wenige sehr gut bezahlte Datenwissenschaftler, Programmierer oder Start-up-Milliardäre stehen zahlreichen Logistikarbeitern bei Unternehmen wie Amazon oder Zalando und Uber-Fahrern gegenüber. Und Letztgenannte verdrängen eher besser bezahlte Verkäufer im Einzelhandel oder klassische Taxifahrer vom Arbeitsmarkt.

FAST DIE HÄLFTE DER ARBEITSPLÄTZE IN DEUTSCHLAND IST GEFÄHRDET

Taxi- oder Uber-Fahrer könnten durch neue Technologien wie autonomes Fahren langfristig sogar ganz arbeitslos werden, ebenso wie Lkw-Fahrer und Logistiker. Und die Automatisierung wird hier vermutlich nicht Halt machen. „In 20 Jahren wird fast die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze in Deutschland durch Roboter ersetzt werden, die die Jobs effizienter erledigen können“, glaubt Martin Sonnenschein, Partner und Europachef bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney.

Eine Studie der beiden Oxford-Professoren Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne zusammen mit der Unternehmensberatung Deloitte hatte bereits im September vergangenen Jahres das Automatisierungspotenzial von 702 Berufen analysiert – und betrachtete zugleich, wie groß die Gefahr ist, dass der Beruf künftig von Maschinen ersetzt wird. Demnach seien 47 Prozent der Arbeitsplätze in den USA durch die voranschreitende Automatisierung gefährdet. Für sicher vor der Automatisierung halten die Forscher dagegen vor allem jene Jobs, die in erster Linie menschliche Fähigkeiten verlangen – zum Beispiel Menschenkenntnis, Verhandlungsgeschick oder Überzeugungskraft.

Ganz oben auf der Liste der Jobs, die laut der Studie dagegen durch Maschinen bedroht seien, stehen Telefonverkäufer, Schreibkräfte und Rechtsanwaltsgehilfen. Als Faustformel gilt: Je höher das aktuelle Gehalt und je mehr Ausbildung der Beruf benötigt, desto geringer seien die Chancen einer schnellen Automatisierung. Die Analyse der Studie wendete A.T. Kearney auf den deutschen Arbeitsmarkt an. Demnach wiesen in der Bundesrepublik über 300 – und damit ein Viertel aller Jobprofile – in den nächsten beiden Jahrzehnten ein hohes Automatisierungspotenzial auf. Somit seien diese Jobs akut gefährdet.

DIE WELTWEITE ARBEITSLOSIGKEIT KÖNNTE STEIGEN

In Deutschland bemerkt man von der drohenden Massenarbeitslosigkeit durch die Digitalisierung und weitere Automatisierung bisher jedoch nichts – es herrscht praktisch (zumindest im Süden der Republik) Vollbeschäftigung. Allerdings befindet sich Deutschland dank des industriellen Aufstiegs von Ländern wie China, Brasilien und Indien auch in der glücklichen Lage einer Sonderkonjunktur. Deutschland stellt praktischerweise genau die Maschinen her, die Länder benötigen, die die Industrialisierung noch nachzuholen haben – und die wachsende Mittel- und Oberschicht in diesen Ländern liebt deutsche Autos.

DIE DIGITALE WELT SCHAFFT WENIGE GROSSE GEWINNER, ABER MASSENHAFT VERLIERER.

DIE VERSPRECHEN DER INDUSTRIALI­SIERUNG SOWIE DER DIGITALEN AUTOMATI­SIERUNG SIND GIGANTISCH.

Vielleicht erklärt das auch, warum von der sprichwörtlichen „German Angst“ gegenüber Künstlicher Intelligenz (KI), die in den kommenden Jahrzehnten weitere menschliche Arbeit überflüssig machen könnte, bisher wenig zu spüren ist: 32 Prozent der Deutschen halten sie laut einer repräsentativen Forsa-Befragung im Auftrag des Marketingunternehmens Rocket Fuel für „aufregend“ oder „spannend“, 16 Prozent glauben, dass sie bei der Lösung großer Probleme helfen könne. 59 Prozent halten sie weder für „gut“ noch für „böse“. Und 12 Prozent der Erwerbstätigen glauben, dass sich ihre Tätigkeit durch KI verbessern werde – nur 8 Prozent, dass ihre Tätigkeit durch KI gefährdet sei.

Doch weltweit sieht die Arbeitsmarktentwicklung düsterer aus: Die zu den UN gehörende Internationale Arbeitsorganisation (ILO) geht in ihrem Jahresbericht 2015 von einer weltweit steigenden Arbeitslosigkeit in den kommenden fünf Jahren aus – bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum. Mehr als 61 Millionen Arbeitsplätze weltweit seien nach ILO-Berechnungen seit der globalen Finanzkrise 2008 weggefallen. Bis 2019 werde die Zahl der arbeitslosen Menschen demnach weiter ansteigen: von heute 201 Millionen auf dann 212 Millionen – allerdings bei zeitgleich steigender Bevölkerungszahl.

MUSS EINKOMMEN ANDERS VERTEILT WERDEN?

Langfristig stellt sich die Frage, ob in einer Welt, in der der immer größere Teil der Wertschöpfung von Maschinen geleistet wird, Einkommen teilweise von der klassischen Erwerbsarbeit getrennt werden muss. Finnland experimentiert derzeit mit dem Modell des „bedingungslosen Grundeinkommens“. Hierzulande ist DM-Gründer Götz Werner der prominenteste Verfechter des Modells. US-Ökonom Jeremy Rifkin schlägt zur Finanzierung eine Besteuerung von Maschinen vor.

Am Ende dieser technischen Revolution wird es dank gesteigerter Effizienz und immer besserer Software insgesamt erneut mehr Wohlstand geben. Die große Frage ist nur, ob es auch Mechanismen geben wird, die Früchte der digitalen Revolution so zu verteilen, dass nicht nur Unternehmenseigner davon profitieren.

Stephan Dörner ist seit Juli 2016 Chefredakteur des Online-Magazins t3n.de, das sich vor allem mit der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzt. Zuvor war er als Tech-Reporter für Die Welt im Einsatz.

GEFÄHRDETE SPEZIES! Wenn die ganze Welt automatisiert ist, wer braucht dann noch Kraftfahrer, Taxifahrer oder Postboten?

Genetisch. Praktisch. Gut!Übrigens