Nr. 2/2017
Das online Kundenmagazin der Schwenk Putztechnik

ALLES NANO, ODER WAS? |

Nanotechnologie – vom Hype zur Realität der Gegenwart. Welche Versprechen konnten eingelöst werden? Sind Nanoprodukte noch zeitgemäß oder kann man auf den Lotuseffekt getrost verzichten?

VON DR. KARL-HEINZ HAAS

ABBILDUNG A: Redispergierbare Silicapartikel als Nanofüllstoffe (Fraunhofer-ISC). Diese Betonzusammensetzungen werden in einigen Anwendungen eingesetzt, eine breite Marktdurchdringung hat sich bislang aber nicht ergeben.

Als die Nanotechnologie vor ca. 15 Jahren als vielversprechende Innovation auch Möglichkeiten für den Baubereich aufzeigte, gab es große Hoffnungen und Erwartungen und wie bei fast jeder neuen Technologie auch einen damit verknüpften Hype. Die Gegenentwicklung konnte in den letzten fünf Jahren beobachtet werden, gemäß dem Motto: „Nano versprach viel, hält aber wenig. Damit muss man sich nicht mehr ernsthaft beschäftigen.“ Aber ist das wirklich so? Der nachfolgende Beitrag soll kurz aufzeigen, welche Möglichkeiten sich realisiert haben und wo noch etwas Geduld erforderlich ist, um Nanotechnologie für Bauanwendungen nachhaltig in Produkte umzusetzen. Wir müssen uns also mit den „Mühen der Ebenen“ abgeben.

Was genau verstehen wir hier unter Nanotechnologie? Die ISO-Definition (ISO/TS 80004-1) besagt: „Nanotechnologie ist die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse, um Materialien im Größenbereich zwischen 1 und 100 nm kontrolliert herzustellen und ihre größen- und strukturabhängigen Eigenschaften zu nutzen.“ Kurz gesagt: Die Materialien müssen wirklich sehr klein sein, die Herstellung muss kontrollierbar sein (kein „Zufalls-Nano“) und es müssen größenabhängige Eigenschaften genutzt werden (klein allein reicht also nicht). Die früher beliebte Aussage „Nano ist der Lotuseffekt“ war also schon immer falsch und ihr kann heute mit einer klaren Definition begegnet werden.

Wenn man sich klassische Baustoffe wie Beton genauer anschaut – und das kann heute sehr viel effektiver geschehen, da die Analytik nanoskaliger Oberflächen viele neue Einsichten ermöglicht hat –, so stellt man fest, dass zum Beispiel die Ausbildung von Nanostrukturen (vernetzte CSH-Gelfasern) wesentlich zur Festigkeitsausbildung beiträgt. Beton ist also ein Nanomaterial, weil sich Eigenschaften durch Nanostrukturen ergeben, obwohl in klassischen Betonmischungen keine Nanopartikel zugegeben werden. Man spricht hier auch von In-situ-Nanomaterialien, da sich die Nanostrukturen erst bei der Verarbeitung herausbilden. Das ist oft von Vorteil, da dadurch der Umgang mit feinen Nanopulvern nicht nötig ist. Wenn die so erzielten Festigkeiten nicht ausreichen, können ultrahochfeste Betone (UHPC) durch die Zugabe von Mikro- und Nanosilica (Abbildung A) hergestellt werden.

Wo werden heute Nanomaterialien im Baubereich hauptsächlich eingesetzt? Verbundwerkstoffe, Schichten/Lacke sowie Beton mit Anteilen von je 22 bzw. 12 Prozent sind die wesentlichen Anwendungsbereiche. Die Website statnano.com listet fast 700 weltweite Produkte aus dem Bereich Nanotechnologie im Baubereich auf, wobei die meisten Patente in Europa angemeldet wurden (Deutschland und Spanien sind dabei führend).

In diesem Beitrag werden Lacke, Farben und Putze im europäischen Markt näher betrachtet. Die in Produkten eingesetzten Nanofüller sind meist: Siliciumdioxid (SiO2), Titan(IV)-oxid (TiO2), Zinkoxid (ZnO), Silber (Ag) sowie Kohlenstoff-Nanoröhren (CNT). Nanoporöse Systeme zeigen interessante Eigenschaften im Bereich der Wärmedämmung und Adsorption. Schichtförmige Nanofüller wie Nanoclays oder Graphene werden bislang noch kaum in Produkten verwendet, es gibt jedoch auch hier viele Aktivitäten weltweit.

DIE WOHL BEKANNTESTE NANOTECHNIK ist unter dem Begriff „Lotuseffekt“ bekannt. Es handelt sich um eine spezielle Beschichtung, die Schmutz und Wasser abperlen lässt.

 

NANOFÜLLER UND IHRE EIGENSCHAFTEN. Besonders interessant sind Systeme im Bereich Wärmedämmung und Adsorption.

NANOEFFEKTE IN FARBEN, LACKEN, PUTZEN UND KLEBERN WERDEN GENUTZT FÜR:

Saubere Oberflächen: Vor einigen Jahren stieß die Entwicklung einer Fassadenfarbe, welche die Selbstreinigung der Lotuspflanze nachempfindet, auf großes Interesse der Fachöffentlichkeit. Die Oberfläche ist mikro-(nano)-strukturiert und stark wasserabweisend, wodurch der aufliegende Schmutz mit Wasser leicht entfernt werden kann. Das Interesse hat zwischenzeitlich deutlich nachgelassen, nachdem sich herausgestellt hat, dass auf längere Sicht – was das Sauberbleiben der Oberfläche betrifft – kein wesentlicher Unterschied zu einer Standardfassadenfarbe zu beobachten ist.

Photokatalytisch aktive Oberflächen auf Basis von TiO2 sind vielfältig im Einsatz, wobei neben einer Beschichtung auch die Herstellung von Massivbaustoffen unter Zugabe von TiO2 möglich ist. Auch in Verglasungen werden photokatalytisch aktive Beschichtungen verwendet. Der Effekt beruht auf einer durch UV-Licht aktivierten Reaktion von organischen Materialien mit Sauerstoff und Feuchtigkeit, die zu einem Abbau und damit zu einer sauberen Oberfläche führen kann (Abbildung B). Aufgrund der hohen Oberflächen von nanoskaligem TiO2 sind diese Effekte deutlich größer als bei mikroskaligen Partikeln. Zu beachten ist, dass sich die photokatalytisch aktive Wirkung auch auf die Bindermatrix erstreckt, sodass hier auf die Auswahl des Binders großen Wert gelegt werden muss.

Die Effekte sind eindeutig messbar, allerdings ist der Begriff Selbstreinigung nicht angemessen, die Reaktionen sind teilweise langsam und eine zusätzliche Reinigung ist, wenn auch seltener, dennoch erforderlich.

Eine weitere aktive Oberfläche kann durch den Einsatz von Nanosilber erzeugt werden. Durch die gesteuerte Freisetzung von Silberionen können mit breitbandiger Wirkung antimikrobielle/- bakterielle Oberflächen erzeugt oder auch Schimmelpilzbefall verhindert werden. Auch hier spielt die hohe Oberfläche der Nanopartikel die entscheidende Rolle, da bereits mit geringen Materialmengen schon deutliche Mengen an Silberionen freigesetzt werden. Obwohl der Einsatz von Nanosilber in einigen Fällen auch kontrovers diskutiert wird, gibt es dennoch viele neue Produkte auf diesem Gebiet, da breitbandig kaum wirksame Alternativen zur Verfügung stehen.

ABBILDUNG B: Photokatalytische Effekte von TiO2-Oberflächen

Saubere Luft: Photokatalytisch aktive Oberflächen sind auch effektiv beim Abbau von flüchtigen organischen Verbindungen und Stickoxiden (NOx) im Gasraum. Diese werden bei Fassadenfarben und Betonwerkstoffen im Außenraum eingesetzt, die Beseitigung unerwünschter Gerüche/Schadstoffe ist der Schwerpunkt bei Farben im Innenraum. In Innenräumen können auch nanoporöse Materialien wie Zeolithe in Gipsdeckenplatten (Geruchsminderung) oder als Zusatz in Holzspanplatten (Adsorption von Rest-Formaldehyd aus den Platten) eingesetzt werden. Der Fachverband angewandte Photokatalyse (FAP) hat zwischenzeitlich eine freiwillige Selbstverpflichtung veröffentlicht, um einen Qualitätsstandard für photokatalytische Produkte zur Luftreinigung zu garantieren.

Verbesserung mechanischer Eigenschaften von Farben: Durch den Zusatz von nanoskaligen SiO2-Füllstoffen können Fassadenfarben abriebfester ausgerüstet werden, außerdem ist der Trend zur Aufnahme von Schmutz verringert, da die Matrix auch bei erhöhter Temperatur nicht weich wird, was üblicherweise zum Anhaften von Schmutzpartikeln führen kann.

Transparenter UV-Schutz: Da sehr kleine Nanopartikel (unterhalb von ca. 20 nm) Licht nicht mehr streuen, also „unsichtbar“ sind, können diese in Klarlacke eingebracht werden und zum Beispiel in Holzlacken die Holzoberfläche vor Vergrauung schützen. Wie auch für Anwendungen im Sonnenschutz wird hier meist Zinkoxid eingesetzt.

Effektive Heizelemente: Die hohe elektrische Leitfähigkeit von CNT wird zwischenzeitlich auch in Wandfarben angeboten, die als effektive Heizelemente eingesetzt werden können.

Wärmedämmsysteme: Nanoporöse Systeme zeigen eine stark verminderte Wärmeleitfähigkeit, was ihren Einsatz als Dämmstoff ermöglicht. Neben Massivmaterialien wie SiO2- Aerogelen bzw. Polyurethan-basierten Schäumen und Dämmmatten sind auch Dämmputze mit Aerogelzusatz verfügbar.

Betonadditive und Fugenkleber: Durch den Zusatz von reaktiven Komponenten (die nicht unbedingt nanoskalig vorliegen müssen) kann die Festigkeit von Betonen und Fugenklebern verbessert werden. Hier bilden sich die gewünschten Nanostrukturen im Endmaterial aus.

NANOMATERIALIEN SIND VIELFÄLTIG IM EINSATZ UND WERDEN IMMER ANSPRUCHSVOLLER. LANGLEBIGKEIT UND SICHERHEIT SIND GEFRAGT.

NICHT JEDES GRAFFITI IST GLEICH EIN KLEINES KUNSTWERK, wie hier beim Art-Pad „Flacon“ in Moskau. Die meisten sind ein echtes Ärgernis für Hausbesitzer. Ein spezieller Nanoschutz hilft, die Farbe schnell und leicht wieder herunter zu bekommen.

Sicherheitsaspekte/Arbeitsschutz: Aktuelle Studien zeigen, dass bei der Verarbeitung von Nanomaterialien, vor allem bei pulverbasierten Nanostoffen, die Schutzmaßnahmen ausreichen, die generell für den Umgang mit Feinstpulvern vorgeschrieben sind. Die Freisetzung von Nanomaterialien in die Umwelt – entweder durch die Bearbeitung von Nanobaustoffen (Schleifen, Bohren etc.) oder durch Bewitterung – wurde in verschiedenen Projekten untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass dabei überwiegend mikroskalige Pulver freigesetzt werden, da die Nanopartikel üblicherweise sehr stark mit ihrer Umgebung verbunden sind, sodass eine Freisetzung als Nanopartikel einen sehr hohen Energieeintrag nötig machen würde. Die Freisetzung von feinsten Stäuben unter ungünstigen Umständen kann immer möglich sein, auch wenn keine Nanomaterialien verwendet werden.

Aspekte zum Recycling von Nanomaterialien und zur Ökotoxikologie werden in laufenden Studien ebenfalls untersucht, hier gibt es noch keine Ergebnisse, die sich auf die Vielfalt der verwendeten Nanomaterialien generell übertragen lassen. Es muss immer der Einzelfall geprüft werden. Das Nanoportal nano.dguv.de gibt dem Interessenten viele Hinweise für den Umgang mit Nanomaterialien.

Einschränkungen für den Einsatz von Nanomaterialien sind die höheren Kosten im Vergleich zu klassischen Materialien, der fehlende Nachweis der Langlebigkeit im Baubereich sowie Unsicherheiten beim Umgang mit Nanomaterialien (Arbeitsschutz, Regulierungsaspekte etc.).

Resümee und Ausblick: Nanomaterialien für Bauanwendungen sind vielfältig im Einsatz und nehmen ständig an Bedeutung zu. Nanowerkstoffe müssen vor allem die Langlebigkeit der erzielten Effekte beweisen und einen sicheren Umgang während der Verarbeitung und im Bestand ermöglichen. Nanotechnologie als Handwerkzeug des Materialentwicklers wird sicher erhalten bleiben, auch wenn das Wort „Nano“ aus den Produktbeschreibungen vielleicht langsam verschwindet.

Dr. Karl-Heinz Haas betreut den Bereich Business Development Werkstoffchemie am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung (Fh-ISC) Würzburg und ist Leiter der Geschäftsstelle der Allianz Nanotechnologie der Fraunhofer-Gesellschaft.

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