Nr. 3/2017
Das online Kundenmagazin der Schwenk Putztechnik

MEHRGESCHOSSIGER HOLZBAU EINE BRANDGEFÄHRLICHE ANGELEGENHEIT? |

Das Thema des mehrgeschossigen Bauens mit Holz erfährt sowohl im Bereich des Neubaus als auch beim Bauen im Bestand rasant an Bedeutung.

VON DR.-ING. MICHAEL MERK

DER BAUSTOFF HOLZ ist bei konsequenter Anwendung der Brandschutzvorschriften kein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko.

Innovative Ansätze und Entwicklungen sind mittlerweile weltweit wahrzunehmen. Dabei stellt die Hochhausgrenze – in Deutschland definiert als Höhe des obersten Geschossfußbodens > 22 m – schon lange nicht mehr eine Limitierung für das mehrgeschossige Bauen mit Holz dar, wie an zahlreichen Beispielen eindrucksvoll zu erkennen ist.

Jüngste Beispiele finden sich in Bergen, Norwegen, mit dem kürzlich fertiggestellten Treet mit 14 Geschossen und einer Höhe von knapp 53 m oder auch in Wien, Österreich, mit dem zurzeit im Bau befindlichen HoHo, ein Holzhochhaus mit 24 Geschossen und 84 m Höhe, wie auch mit dem Tallwood House in Vancouver, Kanada, einem Wohnheim mit 18 Geschossen für 400 Studenten, das vergangenen Juli fertiggestellt wurde. Visionen wie der Oakwood Tower in London reichen mittlerweile bis zu Gebäudehöhen von 300 m und 80 Geschossen. All diese Bestrebungen gründen auf dem immer größer werdenden Wunsch nach nachhaltigem Bauen und der Nachfrage nach Konstruktionen aus biogenen Baustoffen im Wohnungsbau. Aber auch bei repräsentativen Veranstaltungs-, Zweckund Industriebauten, wo gestalterische und bauphysikalische Aspekte zunehmend Einzug halten, gewinnt die Verwendung von Holz zunehmend an Bedeutung.

DIE HEMMNISSE

Dem entgegen steht jedoch das deutsche Baurecht mit seinen Regelungen und Richtlinien bezüglich des vorbeugenden Brandschutzes für einfach aufgebaute und wirtschaftliche Konstruktionsweisen. Beim Einsatz von Holz bei Gebäuden mit mehr als drei Geschossen stellen diese ein großes Hemmnis dar. Die hierfür heranzuziehende Richtlinie (M-HFHHolzR) schreibt eine brandschutztechnisch wirksame Bekleidung sämtlicher brennbarer Konstruktionsbauteile bzw. sichtbarer Holzoberflächen für Gebäude mit vier oder fünf Geschossen vor, die Verwendung von Holz für Gebäude mit mehr als fünf Geschossen ist nach den baurechtlichen Regelungen ohnehin ausgeschlossen. Auch ist der Einsatz brennbarer Dämmstoffe formal ein Tabuthema. Für die Anordnung haustechnischer Installationen sind aufwendige Maßnahmen, wie zum Beispiel die Ausbildung mineralischer Elektrokanäle oder Gipskästen, erforderlich.

EINZELNE BUNDESLÄNDER SIND AUF DEM VORMARSCH

Im März 2015 wurden in Baden-Württemberg die baurechtlichen Bestimmungen für den Holzbau durch eine Novellierung der Bauordnung erheblich gelockert. Hier dürfen seitdem Holz und Holzwerkstoffe ohne nennenswerte Einschränkungen bis zur Hochhausgrenze eingesetzt werden, solange durch die eingesetzten Konstruktionen sichergestellt wird, dass eine Brandausbreitung über die Grenzen von Nutzungseinheiten, Geschossen und Brandabschnitten hinweg ausreichend lange behindert werden kann. Technisch und wirtschaftlich ausgereifte Lösungsmöglichkeiten aus der Wissenschaft und Praxis sind für die gestellten Anforderungen vorhanden, jetzt geht es darum, das Know-how richtig anzuwenden. Auch für Hamburg und Nordrhein-Westfalen liegen Entwürfe zur Änderung der Landesbauordnung mit dem Ziel der Erweiterung des Anwendungsbereiches von Holz in mehrgeschossigen Gebäuden vor. Es ist anzunehmen, dass auch im Kreis der Bauministerkonferenz (ARGEBAU) Bemühungen hinsichtlich einheitlicher Regelungen im Rahmen der Musterbauordnung (MBO) unternommen werden.

NICHTS GEHT DER ZEIT OHNE ABWEICHUNG

Um die zahlreichen, regelmäßig in Teilen oder gänzlich außerhalb der baurechtlich vorhandenen Regelungen liegenden Vorhaben umsetzen zu können, sind Sonderkonzepte mit geeigneten Abweichungsanträgen als entsprechende Grundlage zu erarbeiten. Die Gesetze bzw. Landesbauordnungen räumen hierzu Möglichkeiten ein, von den Bestimmungen abzuweichen, wenn die Schutzziele des Bauordnungsrechts gleichwertig erreicht werden können. Allerdings setzt die Planung und Ausführung solcher Gebäude ein erhebliches Fachwissen aller Beteiligten voraus. Insbesondere der Entwurfsverfasser muss in der Lage sein, die notwendigen Abweichungen zu erkennen und richtig einzuordnen. Je höher und innovativer die Gebäude werden, umso mehr Abweichungen werden sich üblicherweise ergeben. Neben den Abweichungen aus architektonischen bzw. gestalterischen Gründen, wie dem Wunsch nach sich tbarem Holz, löst häufig die gleichzeitige Erfüllung aller gestellten Anforderungen an Bauteile und Konstrutionen Abweichungen aus. Technische

TREPPENHÄUSER sind wichtige Rettungskorridore und unterliegen strengsten Vorschriften.

WIE KANN MAN EINEN BRANDHERD KONTROLLIEREN?

Anforderungen an Tragfähigkeit, Brandschutz, Schallschutz, Wärmeschutz und Holzschutz/ Feuchteschutz sind teilweise schwer in Einklang zu bringen, zudem darf die wirtschaftliche Fertigungs- und Montagemöglichkeit nicht aus den Augen verloren werden. Zuletzt muss für die vielschichtigen Bauteile jeweils die „baurechtliche Verwendbarkeit“ nachgewiesen werden, die ebenfalls enge Vorgaben an ihren Aufbau und ihre Ausbildung stellt.

Werden Abweichungen von den baurechtlichen Vorgaben vorgesehen, müssen die brandschutztechnisch anzusetzenden Ziele gleichwertig, gegebenenfalls durch Einsatz kompensierender Maßnahmen erfüllt werden. Als wesentliche bauteil- bzw. konstruktionsbezogene Schutzziele des mehrgeschossigen Bauens gelten die Behinderung einer Beteiligung der Tragstrukturen am Brandgeschehen, die Aufrechterhaltung raumabschließender Strukturen sowie die Sicherstellung ausreichender Standsicherheit über einen ausreichenden Zeitraum.

EIN BRANDVERSUCHSAUFBAU im Rahmen eines Forschungsvorhabens.

Während sich die Erfüllung der Anforderungen an den Lastabtrag im Brandfall sowie an den Raumabschluss für Holzbauteile weniger problematisch darstellt, steht die Beteiligung von Tragstrukturen am Brandgeschehen, das durch mineralische Schutzbekleidungen (Kapselung) ausreichend behindert werden soll, häufig im Fokus von Abweichungsanträgen, gelten doch die baurechtlichen Vorgaben zur Kapselung für die überwiegende Zahl der Gebäudestrukturen als sehr konservativ, weshalb hier stetig durch geeignete Abweichungsanträge Optimierungen in Richtung wirtschaftlicher Konstruktionen vorgenommen werden.

 

Untersuchungen zu risikogerechten Brandschutzkonzepten wurden innerhalb von zwei Dissertationen an der TU Braunschweig und zuletzt an der TU München (Merk) durchgeführt. In beiden Arbeit en wurde die Möglichkeit einer Reduzierung der Schutzbekleidungen bis hin zum nicht bekleideten Bauteil mit brennbarer Oberfläche analysiert. Risikoanalysen haben gezeigt, dass unter Einbeziehung realer Daten aus dem abwehrenden Brandschutz, durch eine Begrenzung der Nutzungseinheitsgrößen sowie durch geeignete anlagentechnische Maßnahmen (Hausalarm, Brandmeldeanlagen etc.) auch mit reduzierter Dicke der Schutzbekleidung keine Absenkung des Sicherheitsniveaus vorliegt.

Verlässt man jedoch den baurechtlichen Pfad, verlieren auch die qualitätssichernden Regelungen wie die Forderung nach dem Einsatz von vorgefertigten Bauprodukten, einhergehend mit der Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen zur Eigen- und Fremdüberwachung bei der Herstellung, oder die spezifischen Regelungen zur Sicherstellung der mit den gestellten Anforderungen übereinstimmenden Bauausführung an Bedeutung. Diese ausgesetzten Regelungen sind ebenfalls als Bestandteil des Abweichungsantrages zu sehen und dementsprechend durch geeignete Festlegungen ausreichend zu kompensieren.

FORSCHUNG KOMMT ZUR HILFE

Zahlreiche Forschungsvorhaben haben sich in jüngster Zeit mit den Problemstellungen des Brandschutzes mehrgeschossiger Holzgebäude beschäftigt. Unter anderem wurde nachgewiesen, dass:

 

  • Holzfassaden und Holztafelbau-Außenwandelemente unter Anordnung konstruktiver Zusatzmaßnahmen bis zur Hochhausgrenze anwendbar sind.
  • Bauteile aus Massivholz im Hinblick auf das geforderte Schutzniveau brandschutztechnisch ein mindestens vergleichbares Verhalten im Vergleich zu den geregelten Systemen in Holzbauweise haben und deshalb als gleichwertig anzusehen sind. Die Konstruktionen sind trotz gebildeter dicker Holzkohleschicht gut ablöschbar und stellen keine Gefahr für schwer kontrollierbare Glimmbrände dar.
  • die Verwendung brennbarer Gefachdämmstoffe unter Anordnung konstruktiver Maßnahmen zur Verhinderung einer frühzeitigen Entzündung des Dämmstoffes im Gefach auch für den mehrgeschossigen Holzbau möglich wäre.
  • durch die Bereitstellung brandschutztechnisch optimierter Details und Bauteilaufbauten, gegenüber dem Baurecht, praxisorientiertere und wirtschaftlichere Gebäude errichtet werden können.

DAS ERGEBNIS VON FORSCHUNG UND PIONEERARBEIT

Aktuell laufende Projekte sollen diese Ansätze erweitern und standardisieren sowie eine Überführung der Ergebnisse in das künftige Baurecht ermöglichen. So wird ein abgestimmter Konstruktionskatalog erarbeitet, der speziell auf die veränderten Rahmenbedingungen der Landesbauordnung Baden-Württemberg – nach ihrer Deregulierung – eingeht. In einem weiteren Forschungsvorhaben erfolgt die Anpassung des bereits mit großem Erfolg in Österreich laufenden Online-Kataloges zu geprüften Holzbauteilen. Dieser soll an die gültigen Rahmenbedingungen angepasst und mit in Deutschland baurechtlich verwendbaren Bauteilaufbauten erweitert werden. Die Plattform soll ab April 2018 unter www.dataholz.eu abrufbar sein. Als allumfassende brandschutztechnische Grundlagenuntersuchung zur Fortschreibung bauaufsichtlicher Regelungen im Hinblick auf eine erweiterte Anwendung des Holzbaus ist das Forschungscluster „TIMpuls“ anzusehen. Die innerhalb des Gesamtforschungsansatzes durchzuführenden theoretischen und praktischen Untersuchungen werden durch die Kooperationspartner in neun Arbeitspaketen bearbeitet.

Weitere, noch ausführlichere Informationen finden Sie auf unserer Website unter www.hb.bgu.tum.de in der Rubrik Forschung.

300 METER UND 80 STOCKWERKE hoch wird der Oakwood Tower in London sein, wenn der Bau genehmigt wird. Dann ist er das höchste hölzerne Gebäude der Welt.

Dr.-Ing. Michael Merk ist Leiter der Prüfstelle Holzbau sowie der Überwachungsstelle für hoch feuerhemmende Bauteile am Materialprüfungsamt für das Bauwesen (MPA BAU). Ebenfalls ist er am Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion der TU München tätig.

Bauphysik 2.0Das Interview