Nr. 3/2017
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DIESER PROFILER LÖST DIE RÄTSELHAFTESTEN FÄLLE |

Der Profiler Alexander Horn gehört zu Deutschlands erfolgreichsten Verbrecherjägern. Er überführte den „Maskenmann“, der drei Jungen tötete. Dem NSU war er auf der Spur, doch dann ging etwas schief.

VON PER HINRICHS

Als sein Kollege den Raum unter einem Vorwand verließ, wagte Alexander Horn einen letzten Versuch. „Ich habe Ihnen gestern den ganzen Tag lang die Hand gereicht, Sie haben sie immer wieder aus geschlagen. Ich werde Ihnen jetzt noch ein letztes Mal die Hand reichen“, sagte er.

Dann streckte der Polizist seine Hand über den Tisch und wartete. Es waren nur wenige Sekunden, bis Martin N. sie ergriff und zu weinen begann. Horn erschienen sie wie eine Ewigkeit. „Sind Sie der ‚schwarze Mann‘?“, fragte er. N. blickte ihn an, schluchzend. „Ja, ich bin der schwarze Mann.“

Alexander Horn hatte gleich gewusst, dass er den Mörder vor sich hatte. Er hatte nur keine Beweise. Keine DNA, keine Fasern, keine Zeugenaussagen. Schon gar kein Geständnis. Aber dieser Hüne mit weichem Gesicht, der da im Frühjahr 2011 vor ihm saß, hatte drei Jungen getötet. Das war Horn und seinen Kollegen von der Soko klar. Er passte genau ins Täterprofil. Alleinlebend, Erzieher mit viel Kontakt zu Kindern und Jugendlichen in Norddeutschland, 40 Jahre alt.

Ein Zeuge berichtete, wie Martin N. bereits vor Jahren Jungen in einem Schullandheim ausgefragt hatte. Auf einer Festplatte, die bei der Wohnungsdurchsuchung sichergestellt wurde, fanden die Fahnder dann noch ein Foto eines seiner späteren Opfer, das er wieder laufen ließ.

OHNE GESTÄNDNIS HÄTTEN SIE IHN FREILASSEN MÜSSEN

„Schwarzer Mann“, „Maskenmann“, so nannten die Medien einen der meistgesuchten Serienmörder des Landes, den die Soko Dennis viele Jahre suchte. Drei Jungen hatte er in den 90er-Jahren ermordet. Stefan Jahr, Dennis Rostel und Dennis Klein. Horn und seine Kollegen vernahmen Martin N. elf Stunden lang, doch der leugnete, stritt ab, schwieg. Ohne Geständnis hätten sie ihn freilassen müssen. Ein unerträglicher Gedanke.

Das erzählt Alexander Horn, 44, bei einem Milchkaffee so leicht dahin, während die Spätsommersonne durch die Baumkronen im Augustiner Biergarten leuchtet. Dabei war es harte, nervenzehrende Arbeit. Der Polizist gilt als einer der erfolgreichsten Profiler in Deutschland. Er leitet die Abteilung K16 im Münchner Polizeipräsidium, die Dienststelle für Operative Fallanalyse (OFA) Bayern, eine kleine Spezialeinheit mit 15 Beamten für schwer aufzuklärende Fälle.

Profiler. Das Wort weckt Assoziationen. Man denkt an gerissene Filmverbrecher wie den Kannibalen Hannibal Lecter, die nur von begnadeten Ermittlern mit noch größer er Intelligenz geschnappt werden können. Alexander Horn könnte mit seinen graumelierten Haaren und der dunklen Stimme gut einen solchen TV-Ermittler abgeben, den Chef einer Serie wie „CSI: München“ oder schlicht „Der Profiler“. Geschichten hat er jedenfalls genug zu erzählen, die besten hat er jetzt in einem Buch aufgeschrieben: „Die Logik der Tat“ (Droemer HC) heißt es und gibt Einblicke in die Welt der professionellen Verbrecher-Versteher.

BUCHTIPP

Alexander Horn: Die Logik der Tat. Erkenntnisse eines Profilers.
Droemer HC. 19,99 Euro.
ISBN: 978-3-426-27626-6

DIE SPURENSICHERUNG ENTDECKTE UNTER DEM ESSTISCH IN DER KÜCHE KLEINE GLASSCHERBEN

Halt. Wenn er so ein Wort liest, wenn er nur die Anfangsbuchstaben bekannter Krimiserien hört, schreckt Horn auf. „Wir versuchen nicht, wie Mörder oder Serienkiller zu denken, wir versuchen nur, ihr Handeln nachzuvollziehen“, sagt er und weist jeden Ansatz von Glamour, jedes Bild eines Super-Polizisten weit von sich. Die Männer vom K16 – es arbeitet keine Frau im Team – werden gerufen, wenn die örtlichen Ermittler bei Gewaltverbrechen nicht weiterkommen. Sie arbeiten im Team, sichten Spuren, Akten, Tatorte, Leichen, vernehmen Zeugen. Oft mit Erfolg.

JEDES DETAIL IST WICHTIG

Wie im Fall der im Oktober 2003 verschwundenen Mareike G. in Waldmünchen in der Oberpfalz. Die 20-jährige Frau erschien eines Morgens nicht bei der Arbeit in einer Textilfirma, niemand hatte sie gesehen. Kein Mord, keine Leiche, kein Täter. Viel zu analysieren gab es scheinbar nicht. Das K16-Team fuhr trotzdem nach Waldmünchen und nahm in Mareike G.s Wohnung buchstäblich jedes Staubkorn unter die Lupe. Bald wurden sie fündig.

Die Spurensicherung hatte bereits unter dem Esstisch in der Küche kleine Glas scherben entdeckt, konnte sie aber nicht einordnen: War hier einfach ein Glas heruntergefallen? Oder deuteten die Scherben auf einen Kampf hin? Schnell gingen die Ermittler davon aus, dass Mareike G. tot war. Niemand hatte sie an diesem Abend gesehen. Sie hatte ihre Wohnung also vermutlich nicht mehr verlassen und musste dort ermordet worden sein. Profiler lesen in einer Wohnung wie in einem Buch. Alle Details sind wichtig und fügen sich schließlich zu einer Geschichte zusammen.

IM OKTOBER 2003 verschwindet Mareike G. in Waldmünchen in der Oberpfalz spurlos. Die Ermittler stehen vor einem Rätsel.

Mareike G.s Bett war nur halb bezogen, also war sie wohl dabei, ihr Bett zu machen, als sie auf den Täter traf. Da es keine Spuren gab, die auf einen Einbruch hindeuteten, hat sie den Unbekannten vermutlich selbst in die Wohnung gelassen. Als er sich ihr – in sexueller Absicht? – näherte, wehrte sie sich. Es kam zu einem Kampf, der sich vom Schlafzimmer über den Flur der kleinen Wohnung in die Küche verlagerte. Beim Kampf in der Küche könnte das Glas zersprungen sein, dessen Splitterreste sich noch unter dem Küchentisch fanden. Der Unbekannte hatte Mareike G. vermutlich gewürgt, um sie zum Schweigen zu bringen, und dabei ist sie dann gestorben. Anschließend muss der Täter überlegt und planvoll die Leiche beseitigt haben. Er räumte zwar den Tatort auf, übersah aber die kleinen Glassplitter unter dem Tisch. Die Spurensicherung entdeckte keine weiteren Scherben im Müll, die darauf hingedeutet hätten, dass Mareike G. selbst ein Glas fallen gelassen und beim Zusammenkehren lediglich Splitter übersehen hatte.

ERST KLEINSTE DETAILS, die sie in der Wohnung finden, führen sie schließlich auf die richtige Spur des Täters.

Sämtliche Männer aus ihrem Umfeld wurden noch einmal überprüft, insgesamt 120 Personen. Nun begann das Profiling, das Erstellen einer Charakterstudie anhand der Tatumstände.

Am Ende hatten die Polizisten 25 Merkmale erarbeitet, die auf sieben Männer passten. An vorderster Stelle stand Stephan B., 30, ein Arbeitskollege von Mareike G. Er war bereits mehrfach als Zeuge vernommen worden. Doch es fehlten Beweise. In mehreren Vernehmungen hatte er bestritten, etwas über ihren Verbleib zu wissen. Also versuchte Alexander Horn herauszufinden, auf was er abweisend, auf was zugänglich reagierte. „Ein guter Vernehmer braucht Einfühlungsvermögen und rhetorisches Geschick“, sagt er.

GENIALITÄT ODER ABGRÜNDE SIEHT MAN BEI TÄTERN SELTEN, IN DER REGEL EHER LANGWEILIG ANMUTENDE LEBENSLÄUFE

Am Ende hatte er Stefan B. so weit. Er gab zu, über das Schlafzimmerfenster in die Wohnung eingestiegen zu sein, um Unterwäsche zu stehlen. Dabei habe Mareike G. ihn überrascht. Dann passierte fast alles so, wie die Profiler es rekonstruiert hatten. Stefan B. tötete Mareike G. in ihrer Wohnung und vergrub ihre Leiche im Wald. 2005 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.

MÄNNER, DIE IN EINEM EMOTIONALEN VAKUUM LEBEN

Seit mehr als 15 Jahren macht Alexander Horn nun schon diese Arbeit und so verschieden die Taten auch sind, so sehr ähneln sich oft die Muster bei den Tätern und die Reaktionen der Menschen in ihrem Umfeld.

„Bei uns gibt es so was nicht“, hört er oft. Im Englischen nennen die Ermittler das Phänomen „No monsters here“. Sitzt Horn einem Serienmörder oder Serienvergewaltiger gegenüber, hat er häufig einen durchschnittlich intelligenten Menschen vor sich, der kaum Freunde, oft keine Lebensgefährtin und einen eintönigen Beruf hat.

Stefan B. etwa gab an, in seinem Leben vier Mal Frauen auf die Wange geküsst zu haben, das war es an Intimitäten. Genialität oder Abgründe sieht er bei Tätern dagegen selten, eher langweilig anmutende Lebensläufe. Männer, die in einem emotionalen Vakuum leben, bis sie etwas aus der Bahn wirft, das sie ein Verbrechen begehen lässt.

Viele von ihnen konnten von Horn und seinem Team überführt werden. Und im Jahr 2006 hätte er sogar die Geschichte des Landes maßgeblich beeinflussen können, wäre man seiner Analyse gefolgt. Darauf angesprochen, lächelt er, blickt kurz nach unten und sagt dann auf die Frage, wie das so war: „Nicht so gut.“ Viel mehr aber will er nicht sagen. Es klänge wie eine späte Rache.

HINTERGRUND

Alexander Horn, gebor en 1973 in Bad Tölz, ist einer der bekanntesten deutschen Fallanalytiker. Nach seiner Ausbildung zum Kriminalpolizisten war er Mitbegründer des Täterprofilings bei der Münchner Mordkommission. Als Leiter der Dienststelle für Operative Fallanalyse (OFA) war Alexander Horn maßgeblich an der „Soko Dennis“ sowie der „BAO Bosporus“ beteiligt.

Damals, fünf Jahre vor der Enttarnung der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU, hatte Horn ein Profil der Täter im Fall der mysteriösen Morde erstellt, die vorwiegend an türkischen Einwanderern quer durch Deutschland mit einer Waffe der Marke Ceska begangen worden waren. Während die zuständige Soko „Bosporus“ glaubte, die Taten ständen im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität, hätten mit Schutzgeld, Erpressung oder Drogen im Einwanderermilieu zu tun, ergab Horns Analyse: Man solle zwei junge Männer suchen, die Türken hassen, es sei von einem „ausländerfeindlichen Zerstörungsmotiv“ auszugehen.

Eine gute Beschreibung der beiden rechtsradikalen Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die später überführt wurden. Die zuständige Soko stufte Horns Analyse damals aber als unrealistisch ein und verwarf sie. Er könnte jetzt auftrumpfen und die Rolle des einsamen Helden geben, der es vor allen gewusst hatte. Aber dafür ist Horn nicht der Typ.

BEATE ZSCHÄPE während des NSU-Prozesses.

WEITERE VERBRECHEN ODER OPFER KÖNNTEN AUF DER VERSCHLÜSSELTEN FESTPLATTE DOKUMENTIERT SEIN

DAS GEHEIMNIS DES „MASKENMANNES“

In einem anderen, eigentlich abgeschlossenen Fall arbeitet er gerade daran, wieder einen kleinen Sieg zu erringen. Es geht noch einmal um den „Maskenmann“ Martin N. Der verbüßt gerade seine lebenslange Haftstrafe in Celle – und trägt noch ein Geheimnis mit sich herum. Denn nach seiner Verhaftung fand der Nachmieter in N.s Hamburger Wohnung eine verschlüsselte Festplatte. Bis heute ist es den Spezialisten nicht gelungen, das Passwort zu knacken. Und der Täter weigert sich, es zu verraten. Fahnder nennen das „Schatzkästchen-Phänomen“, wenn Verurteilte einen letzten Rest an Kontrolle, ein letztes Geheimnis behalten wollen, nachdem ihnen alles genommen wurde.

ALS SCHATZKÄSTCHEN-PHÄNOMEN bezeichnen Fahnder, wenn Verurteilte einen letzten Rest an Kontrolle, ein letztes Geheimnis behalten wollen.

Also wird Alexander Horn in den nächsten Wochen mal wieder nach Celle fahren und sich mit N. unterhalten, um zu versuchen, das Schatzkästchen doch noch zu öffnen. Weitere Verbrechen oder Opfer könnten auf der Festplatte dokumentiert sein.

Die Arbeit mit Verbrechern belaste ihn nicht, sagt Horn. Nur wenn Kinder die Opfer sind, das macht auch routinierten Ermittlern wie ihm zu schaffen. Abschalten kann er dann am besten in der Familie oder beim Wandern und Radfahren in den Bergen.

In Celle wird Horn also erneut versuchen, Vertrauen zu Martin N. aufzubauen. Beide werden sich dann wohl auch an jene Szene erinnern, als N. Horns Hand nahm und die Morde gestand. Stundenlang schilderte er damals seine Taten. Als es vorbei war und Martin N. spätabends herausgeführt wurde, drehte er sich um, blickte den Ermittler ein letztes Mal an und sagte: „Vielen Dank, Herr Horn.“

Per Hinrichs fühlt sich immer da wohl, wo es brenzlig wird. Er ist seit 2009 Chefreporter bei der WeltN24 GmbH und seit 2015 zusätzlich bei der WELT AM SONNTAG. Sein Interesse gilt den digitalen Medien, den Social Media und dem Journalismus im Allgemeinen.

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