Nr. 3/2016
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BOREOUT - EINE KRANKHEIT ZUM VERSTECKEN |

Langeweile und Unterforderung im Betrieb können krank machen. Symptome reichen von Müdigkeit bis hin zu Depressionen. Wie kann man sich schützen und was sind die Indikatoren?

VON DR. MED. WOLFGANG MERKLE

STRESS DURCH UNTERFORDERUNG ENTSTEHT DURCH ZU WENIGE UND FALSCHE AUFGABEN AM ARBEITSPLATZ.

Erstmals beschrieben wurde das Boreout nicht in der Medizin, sondern in der Wirtschaft: 2007 veröffentlichten die Schweizer Unternehmensberater Philippe Rothlin und Peter R. Werder das Buch „Diagnose Boreout“. Rothlin und sein Kollege haben in dem Buch beschrieben, dass es eine Gruppe von Beschäftigten gibt, die durch Langeweile und Unterforderung im Betrieb krank werden.

Ebenso wenig wie das Burnout ist das Boreout bisher als Krankheitsbild definiert. Es handelt sich um eine Konstellation, die zu Krankheitsanfälligkeiten führt, vor allem im psychosomatischen Bereich: Magen-Darm-Störungen, Schwindel, Schlafstörungen, Tinnitus, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und andere psychosomatische Beschwerden. Meist hat der Betroffene aber auch diffuse Beschwerden, wie Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Leistungsabfall, ein Gefühl von Wertlosigkeit, also Beschwerden, die wir bei Depressionen finden. Klassischerweise ist das quantitative Boreout-Syndrom in jenen Bereichen der Arbeitswelt verbreitet, in denen durch Rationalisierung und Software-Fortschritte Aufgaben wegfallen – insbesondere in der Verwaltung und im Dienstleistungssektor. Allerdings kommen in der Wirtschaftskrise, in der viele Firmen unter Auftragsflaute leiden, Boreouts verstärkt auch in anderen Branchen, etwa im Bankgewerbe, vor.

In diesen Zeiten, in denen auch Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, ist der Druck außerdem groß, die Notwendigkeit seines Arbeitsplatzes unter Beweis zu stellen und trotz Langeweile sogar noch Überstunden zu machen. Fusionen von Firmen führen häufig dazu, dass Funktionsstellen doppelt besetzt sind. Selbstständige dagegen leiden seltener unter Boreout.

Sehr häufig fallen Boreout und Mobbing zusammen, das heißt, dass Vorgesetzte unliebsame Mitarbeiter dadurch zur Kündigung drängen, dass sie ihnen in keinster Weise zufriedenstellende Arbeiten geben oder ihre Ergebnisse grob missachten. Manchmal bekommen die Arbeitnehmer gar nichts zu tun und müssen die Zeit absitzen. Diese Form von Gewalt ist nicht nur schwer justiziabel, sondern kann auch vom Betroffenen nicht leicht dingbar gemacht werden. Beispiele von großen Firmen, in denen die quantitativen Boreout-Fälle häufig vorkamen, waren früher das Abwickeln bei Telekom, Bahn und Post. In den letzten Jahren häuften sich die Fälle auch im Rahmen der Reduktion der Bundeswehr. Aber auch bei Arbeitslosen und Rentnern finden wir diesen Stress durch Unterforderung häufig.

WER DEN GANZEN TAG NICHTS ZU TUN HAT, der fühlt sich schnell energie-, kraft- und wertlos.

FALLBEISPIEL: EINE 52-JÄHRIGE FRAU KOMMT IN BEHANDLUNG

Frau B. arbeite seit 38 Jahren bei der Post und sei beamtet. Im Rahmen von Umstrukturierungen sei sie mit ihrer Abteilung ausgelagert worden und sie arbeite jetzt im Auftrag für andere Firmen. Dabei habe sie aber kaum etwas zu tun und die meiste Zeit des Jahres fühle sie sich unterfordert. Außerdem habe sie Schwierigkeiten mit ihrer Chefin, bei der sie das Gefühl habe, nicht verstanden und ausgenutzt zu werden. Sie habe sich auch schon im Streit mit ihr angelegt, weil sie wisse, dass ihr niemand kündigen dürfe. Nach einer längeren Erkrankung (Rückenschmerzen) dieses Jahr, habe ihre Chefin auf eine Kur bestanden. Frau B. habe aber einen krebskranken Mann zu Hause, den sie versorge, sodass sie sich nicht vorstellen könne, für mehrere Wochen weg zu sein. Eine Alternative fand sich in unserer Tagesklinik. Aber was sie nun hier solle, das wisse sie nicht.

Ihre Chefin wolle sie in Rente schicken, aber mit 52 Jahren wolle sie noch nicht in Rente gehen. Der Betriebsarzt würde das auch nicht unterstützen. Wiederholt fragt sie mich unvermittelt, was ich von ihr halte und was ich denke, warum sie hier sei. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass sie am Anfang gesagt hätte, sie wolle lernen, nicht immer gleich mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Das wolle sie zwar lernen, aber sie müsse eben für ihren kranken Mann so stark sein und könne es sich nicht erlauben, den Kopf in den Sand zu stecken. Bei der Nachfrage meinerseits, inwieweit sie sich um sich selbst sorge, auch in Bezug auf den schlecht eingestellten Diabetes, scheint sie sich angegriffen zu fühlen. Sie werde immer für ihren Mann Sorgen und werde sicherlich nicht wie andere Frauen einfach weggehen.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Beschwerden, die diese Menschen oft zu uns führen, sehr diffus sind und die Patienten selbst gar nicht richtig wissen, woran sie leiden. Von der Struktur her sind zu Boreout neigende Menschen meist sehr leistungsorientiert und ehrgeizig. Sie haben mehr Angst davor, zu kurz zu kommen und zeigen einen eher defensiven Umgang mit Krisen (verharren). Hintergrund sind häufig frühe Benachteiligungen und Überforderungen. Sie neigen zu Schuldgefühlen, die verdrängt werden. Sie warten (immer noch) auf die elterliche Gerechtigkeit. Sie scheinen das Gesamtgefühl zu haben: Es geht nicht gerecht zu, also ist ein bisschen Unrecht meinerseits auch erlaubt („corriger la fortune“). Damit driften sie manchmal dann tatsächlich ins Unrecht und ein Teufelskreis beginnt.

DAS QUALITATIVE BOREOUT

Hier handelt es sich um Menschen, die überqualifiziert an einer Stelle sind, die ihnen gar nicht entspricht, weil sie sehr viel mehr leisten könnten. Viele Migranten kommen nach Deutschland, sprechen schlecht Deutsch, kennen sich mit den Umständen nicht aus, ihre bisherige Ausbildung wird nicht anerkannt. Vielleicht haben sie sogar ein Diplom, ein abgeschlossenes Studium, hatten Jura studiert oder sind Lehrer. Ihre bisherigen Fertigkeiten werden hier nicht gebraucht, so suchen sie eine unterqualifizierte Beschäftigung, typischerweise im Bereich der Hilfsarbeit oder in einem Lager. Es kommt zur Unzufriedenheit am Arbeitsplatz, zu Minderwertigkeitsgefühlen in der Familie und meist dann auch zu vermehrten Konflikten oder Suchtmittelgebrauch (Alkohol). Damit ergibt sich eine negative Rückkopplung. Beim qualitativen Boreout ist es für den Betroffenen oft noch schwerer zu verstehen, warum es ihm schlecht geht, denn er ist nicht überfordert, könnte es sich doch gut gehen lassen und die Freizeit genießen.

ÜBERQUALIFIZIERT, BENACHTEILIGT, ABGESCHOBEN – EIN TEUFELSKREIS

SCHULDGEFÜHLE PLAGEN DIE EHRGEIZIGEN HIGH-PERFORMER.

Als Beispiel kann eine 32-jährige Anlageberaterin gelten, die sich nach der Fusion ihrer Bank mit einer ander en Bank gleich darüber im Klaren war, dass ihr Job doppelt besetzt wurde und sie wegen der Machtverhältnisse der beiden Banken (ihre Bank war einverleibt worden) keine Chance hatte, weiter gefragt zu sein. So sagte sie sich: „Ist ja prima, dann kann ich während der Arbeit meine Füße hochlegen und nachmittags voll für mein 2-jähriges Kind da sein.“ Wie sie sagte: eine hervorragende Work-Life-Balance. Doch sie hatte die Rechnung ohne ihr ehrgeiziges Gemüt gemacht und wurde bald schwer depressiv. Schlimmerweise konnte sie sich selbst nicht verstehen.

Noch schlimmer war es bei einer jetzt 64-jährigen Frau, die im Rahmen ihrer Unterforderung am Arbeitsplatz innerhalb weniger Monate 17 kg an Gewicht abnahm, eine schwere Sprech- und Atemstörung bekam, immer wieder die Augen unwillkürlich zukneifen musste (Blepharospasmus) und sich völlig zurückzog. Sie hatte sich nach einer schweren privaten Lebenskränkung zur Chefsekretärin hochgearbeitet (ihr Exmann hatte sie schon bald nach der Hochzeit mit der besten Freundin betrogen und sie mit dem Kind allein gelassen). Vor drei Jahren war nun ihr Chef in den Ruhestand gegangen, der neue brachte eine eigene Sekretärin mit, sodass sie nun ein „Versorgungsfall“ wurde und ins Archiv musste. Hinzu kam dann noch, dass sie erst jetzt von ihrer Mutter erfahren hatte, dass der Mann, den sie bisher immer als ihren Vater betrachtet hatte, gar nicht ihr leiblicher Vater war. Das hat ihr im wahrsten Sinne die Sprache verschlagen. Ihre Atemstörung wirkte wie ein tiefes Seufzen nach einem unerschöpflichen Weinen.

Wie man sich bei diesen Lebensschicksalen vorstellen kann, ist eine Therapie bei diesen Konstellationen unterschiedlich schwer. Es ergeben sich deshalb auch unterschiedliche Ansätze. Meist werden eine ambulante Therapie und eine Hilfestellung beim Verändern der misslichen Lage helfen. Allerdings bedeutet dies oft eine große Umstellung für den Betroffenen, der sich allerdings aufgrund des verständlichen Unrechtsbewusstseins heftig dagegen wehrt. Zum einen gilt es natürlich erst einmal, aus der körperlich- seelischen Krise herauszukommen, um dann neue Herausforderungen zu suchen, zum Beispiel durch weitere Qualifikationen, Gespräche mit der Personalführung oder gar einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Firma. Die psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung setzt bei psychodynamischen Gesprächen, Entspannungsverfahren, Körpertherapieverfahren (zum Beispiel Konzentrative Bewegungstherapie und funktionelle Entspannung) sowie Kunst- oder Musiktherapie und den ggfs. notwendigen somatischen Maßnahmen an. Es wird durch diese Therapien versucht, die „Verkrustung“ in der Sinnlosigkeit zu lösen und Zugang zum Selbst und Körperselbst zu finden, um dann die zugrundeliegenden inneren Konflikte zu lösen, die eine aktivere Auseinandersetzung mit der äußeren Belastung erschweren.

Im Vergleich ist die Arbeit mit den Boreout- Patienten sehr viel schwieriger als mit den Burnout-Patienten. Meist haben die Boreout- Patienten Schuldgefühle wegen ihrer „Untätigkeit“, sie sind eher misstrauisch, erwarten Ablehnung oder Zurechtweisung. Dies bewirkt, dass sie sich bei der Bearbeitung ihrer eigenen Anteile – die sie ja durchaus sehen – sehr schnell angegriffen und entwertet fühlen, was den Aufbau einer guten therapeutischen Beziehung erschwert. Meist gehen lange juristische Auseinandersetzungen voraus, die zu fixierten Konfliktsituationen führen, sodass es zum Nachteil des Betroffenen nur noch darum geht, Recht zu bekommen. Ergibt sich dann aus den Symptomen ein sekundärer Krankheitsgewinn, kann eine Therapie sehr schwer werden.

DIE BESTE MEDIZIN für den Kopf und gegen die Langeweile ist meistens eine berufliche Veränderung.

Dr. med. Wolfgang Merkle ist Chefarzt der Psychosomatischen Klinik am Hospital zum heiligen Geist. Zudem hält er einen Lehrauftrag der Uniklinik Frankfurt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie inne.

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